Jan Svenungsson

Heymer, Kay; Svenungsson, Jan. "Oscillation Between Poles", in: Be, # 4, 1996



Berlin, 20.1.1996

JAN – Wir kennen uns seit 1992, und ich habe dich jetzt gebeten, einen Katalogtext für mich zu schreiben, der ohne Bilder gedruckt werden soll.1 Heute treffen wir uns zur Vorbereitung, und ich habe eine Reihe deiner früheren Texte gelesen, die ich mit dir diskutieren will, während ich dir eine Dokumentation über meine eigene Arbeit zeige. Ich zeichne unser Gespräch auf, um Material für einen Text im BE-Magazin zu bekommen. Es soll wie das Sammeln von Ton sein, der später zu einem Bild geformt werden kann... Wir sprechen Englisch, und du wirst meine redigierte Fassung unseres Gesprächs2 in eine deutschsprachige Originalfassung verwandeln – die dann von Andrew ins Englische übersetzt wird.

Die Herausgeber des BE–Magazins haben diskutiert, was das Thema der nächsten Ausgabe sein soll, und sie sind auf eine sehr abstrakte Idee gekommen, die von "Endzeit" handelt... und apokalyptischem Tourismus.3

KAY – Apokalyptischer Tourismus?

J. – Es ist irgendwas von Menschen der westlichen Welt, die sich als Touristen in der Dritten Welt aufhalten und von ihr erwarten, eine Simulation ihrer westlichen Umwelt für sie aufzubauen – und von Menschen aus der Dritten Welt, die in den Westen einwandern, von einem Austausch der Kulturen...

K. – Vielleicht könnten wir dich zu einem Dritte-Welt-Künstler aus Schweden erklären, der ein Land der "Ersten Welt" besucht?

J. – Vielleicht bringt das etwas...?

K. – Nein, bestimmt nicht. Ich glaube nicht mehr an diese Situation, daß die Welt in verschiedene Ebenen aufgeteilt ist, und auch nicht mehr an nationale künstlerische Identitäten.

J. – Wie kannst du diesen Standpunkt einnehmen?

K. – Das ist auf meine Beschäftigung mit afrikanischer Kunst und ihrer Bedeutung zurückzuführen. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß diese ganzen Fragen nach dem Kontext und der kulturellen Bedeutung dieser Objekte, und nach der Entfremdung afrikanischer Skulpturen im westlichen Kontext nur ein bestimmtes, analysierbares Stadium darstellen, was aber am Ende bleibt, ist das Objekt, das da ist und eine bestimmte Kraft ausübt, und es tut dies, gleich wo es herkommt. Ich glaube, daß all diese Leute, die einen transkolonialen Diskurs führen und mit dieser Situation zurechtkommen wollen, nicht zu einer wirklichen Kommunikation mit dem gelangen, was sie unmittelbar vor Augen haben. Sie scheinen mehr mit sich selbst beschäftigt.

J. – Ja, man nimmt eine Position ein, in der man sich selbst beim Hören oder Sehen beobachtet. Aber du hast doch einmal einen Text für mich mit diesem Satz beendet: "Es hängt alles davon ab, wie oft man die Perspektive wechselt."?4

J. – Was in diesem Text geschieht5 ist, daß du eine Verbindung zweier Worte herstellst, die wohl für deine Art zu denken sehr wichtig sind: Die Bedeutung von "Kennerschaft" und das Interesse für "Abweichungen"...

K. – Ja, ganz sicher.

J. – Und wenn diese zwei Worte dann Kennzeichen einer einzigen Person sind, dann ist es am besten...

K. – Dieser Text war der Auslöser für Förg, mich zu bitten, über seine Arbeit zu schreiben6, das halte ich für eine sehr klare Koinzidenz.

J. – Ich habe Derain nie geschätzt, aber wegen dieses Textes mochte ich ihn für einen Augenblick wirklich. Gleichzeitig denke ich, daß du ihm gegenüber verantwortungslos warst und ihn für deine Ziele benutzt hast.

J. – Es scheint so einfach; du nimmst ein Thema, ihr Thema7, du betrachtest es, machst deine Verbindungen und Assoziationen, formulierst sie nacheinander, ohne viel Aufwand – und das ist es dann! Die meisten deiner Texte haben einen sehr schönen Schluß mit einem Satz, der so klar und treffend ist – diese Sätze tauchen immer wieder in meinen Aufzeichnungen auf!

K. – Es ist sehr wichtig für mich, einen guten Schluß zu haben; ein Text muß irgendwo beginnen und am Ende muß er entweder mit dem Anfang zusammenfallen oder woanders ankommen, die zwei Möglichkeiten gibt es, das muß am Ende aber klar sein, man kann ihn nicht einfach irgendwo abreißen...

J. – Das funktioniert hier sehr gut. Ich finde die Struktur dieses Textes ähnlich wie bei dem über Peter Halley8, den ich uninteressant fand, außer der Beobachtung, daß dieser minimalistische Ansatz bei Trockel wegen der Ambivalenz ihrer Arbeiten funktioniert und bei ihm nicht, weil seinen Arbeiten die Ambiguität fehlt.

J. – Du sagst9, es gebe Bilder, die in seinem Bilderfluß eine besondere Standfestigkeit haben. Die meisten davon sind Photos, wenn ich dich aber recht verstehe, sagst du auch, daß es eine Art Generalbild der Gemälde gibt, das nicht verschwindet.

K. – Ja, man kann sich z.B. ein Master der Bleibilder vorstellen, und man wird es nicht vergessen. Du kapierst gewissermaßen das System. Ich glaube, daß bestimmte Gemälde genauso in deinem Kopf bleiben wie bestimmte Photos, es ist aber leichter anhand von Photos zu beschreiben, und deshalb habe ich die beiden Photos angeführt, das auf dem er selbst das Treppenhaus herabgestürzt ist und das mit der Dame auf der Treppe der Villa Malaparte. Ich glaube, diese beiden Bilder werden berühmt werden.

J. – Ich bin einmal nach Capri gefahren, um die Villa Malaparte zu sehen, nur wegen diesem Photo...

K. – Was ist mit diesem Text aus dem kleinen schwarzen Katalog10?

J. – Er wurde im Sommer 1989 geschrieben, und Ausstellung und Katalog beginnen mit dem Wort "November 1989". Jetzt bin ich in Berlin und zeige diesen Katalog Leuten, für die der November 1989 viel bedeutet. Der Text sollte in der Tat andeuten, daß etwas Überwältigendes geschehen würde, indem er vom Gegenteil erzählte, wie Orwells Newspeak. Gleichzeitig war ich deprimiert, ich hatte das Gefühl, Probleme zu bekommen, und ich wollte dieses Gefühl ausdrücken, was ich mit einem Text tat, der 100% optimistisch ist, und der dann, unbewußt, den Wandel vom Persönlichen zum Politischen vollzog...

J. – Ich fuhr nach Island11; ich schleppte all diese Ausrüstung mit, und dann machte ich meine ganzen Photos mit zu vielen Filtern vor dem Weitwinkelobjektiv – und ich brauchte einige Zeit um zu merken, daß sie viel besser waren, durch die Fehler sieht die Ausstellung in der Reproduktion viel interessanter aus – als sei sie durch das Bullauge eines U-Bootes gesehen.

K. – Sie wirkt realer, weil es aussieht, als habe ein Spion sie beobachtet; und es ist wie beim Auge – es gibt diesen sehr ähnlichen Effekt, wenn man etwas ansieht und den Rand den Blickfeldes dabei beachtet. Es ist natürlich gut, daß es unabsichtlich entstanden ist...

J. – Es wäre auch sehr trocken geworden, wenn ich vorher die Idee gehabt hätte, es so zu machen. Einer der wichtigsten Antriebe meiner künstlerischen Tätigkeit besteht in der Tatsache, daß, während ich sehr viel arbeite und Ausstellungen vorbereite, immer wieder Unfälle passieren und meiner Arbeit einen Wert verleihen, weil sie neue und ungeplante Inhalte entstehen lassen.

K. – Wenn ich einen Text schreibe, ist das ähnlich.

K. – ...und Barnett Newman ist gewissermaßen Religion, eine Religion, die ihre Rechtfertigung daraus bezieht, wie die Gemälde gemacht sind – man kann das wirklich sehen und beschreiben – und darin ist Wahrhaftigkeit, es ist eine sehr freie Religion, die die Menschen nicht zwingt, auf eine bestimmte Weise zu denken...

J. – Für mich war das immer zu offen, zu groß, zu frei...

K. – Zu frei? Aha.

J. – Zu erhaben...! Hast du je einen Text über ihn geschrieben?

K. – Nein.

J. – Dann kann ich nicht herausfinden, ob du bei ihm Abweichungen gefunden hast.

K. – Ich glaube, bei Newman würde ich niemals eine Abweichung finden, und deshalb würde ich nie über ihn schreiben. Ich glaube, er wird auftauchen, wenn ich über andere Künstler schreibe..., bei Förg12 erscheint er als ein Pol, den Förg pervertieren kann, was Förg interessant macht...

J. – Ich glaube, du schreibst nicht über Newman selbst, weil du dann etwas Perverses in ihm finden müßtest, um ihn interessant zu machen, und das wäre dann eine Perversion deines Interesses an Newman.

K. – Daß du genau denselben Abstand zwischen den Bildern bei einer Hängung der Test-Serie verwendest, ist das nicht etwas, daß die Leute vielleicht gar nicht bemerken, speziell nicht den Aufwand, den du dafür treiben mußt?

J. – Sehr wahrscheinlich, aber ich denke, sie werden eine eigenartig unnötige Ordnung bemerken, die bestimmt unbewußt die Art und Weise kontextualisiert, in der sie die Arbeit sehen – wie ich in meinen Shonen Knife-Text geschrieben habe13: es ist ein verborgener Inhalt: am Ende bemerke ich, daß ich nichts Sinnvolles über Shonen Knife schreiben kann, daß ich aber darüber schreiben kann, wie ich nicht über sie schreiben kann, und so verschwindet alles Material, das ich über Shonen Knife gesammelt habe, aus dem Text, bleibt aber als verborgener Inhalt vorhanden.

K. – So wie man Inhalt in einem Computer verbergen kann.

J. – Mein Computer steckt voller Versionen meiner Texte. Ich lese sie nie, bewahre sie aber auf.

J. – Ich habe eine herkömmliche Stahlfeder verwendet, weil ich grundsätzlich Fehler haben will. Ich will sogar ein ziemlich hohes Level an Fehlern haben.

K. – Das ist eine sehr malerische Haltung!

J. – Ich spiele hier mit verschiedenen Systemen... wenn ich aber ein wasserdichtes System entwerfe, wird gar nichts passieren. Was mich interessiert, ist die Erschaffung unerwarteter Bedeutungen. Um die Erschaffung unerwarteter Bedeutungen auszulösen, erstellt man einen systematischen Mechanismus mit einigen bestimmten inhärenten Fehlern, läßt es laufen und schaut, was herauskommt. Je größer die Fehlerquellen des Systems sind, desto mehr Bedeutung erschafft man. Sind sie allerdings zu groß, werden sie das System ruinieren, so daß keine Bedeutung zu erkennen sein wird, denn alles wird Bedeutung sein. In der ersten Zeichnung dieser Serie habe ich aus Versehen einen großen Fleck gemacht, der dann wächst und wächst, weil die folgenden Zeichnungen voneinander kopiert wurden.

K. – Ich glaube, das ist eher... wie soll ich sagen... idiosynkratisch.

J. – Dieses Wort ist mir bisher immer entgangen. Was bedeutet es genau?

K. – So etwas wie auf sich bezogen, autistisch.

J. – Artistisch?

K. – Nicht artistisch, sondern autistich! Das ist aber ein gutes Wortspiel. Du solltest es dir merken... "nicht artistisch, sondern autistisch"... schreib es sofort auf, damit keiner das Copyright klaut.

K. – Dies ist entweder oder... man kann es austauschen, oder es kann schweben, oszillieren... eine meine Lieblingsfiguren ist die Oszillation... Ich habe sie von Carl Einstein... seine Grundidee ist die Oszillation zwischen Polen.

J. – Wer ist Carl...?

K. – Einstein war ein Autor, der 1915 das erste Buch über Afrikanische Kunst geschrieben hat14. Er war ein ziemlich einflußreicher Kritiker, und ich bewundere seine Texte, weil er überhaupt nicht wissenschaftlich war...

JAN SVENUNGSSON & KAY HEYMER