Jan Svenungsson

"No Man is an Island", in: Alte Meister Junge Meister, Ambra / Edition Angewandte, Vienna 2014


Ein Künstler ist nie allein im Atelier. Wir arbeiten immer in gewissem Bezug auf das, was vor uns von Anderen gestaltet wurde und auf das, was rund um uns gemacht wird. Wir werden von anderen Künstlerinnen und Künstlern inspiriert – oder wir reagieren dagegen. Wir lernen aus den Methoden, die sie verwenden, und wir sagen uns : „Das könnte ich auch tun“ oder „Auf diese Weise würde es doch besser gehen“ oder „Das ist mir wirklich nicht möglich; ich kann es nur auf meine Art tun“.

Diese Art von Dialog kann ganz unbewusst sein. Manchmal bin ich fest davon überzeugt, dass meine Idee neu ist, während sie in Wirklichkeit doch viel mit einem Gedanken zu tun hat, mit dem ich irgendwo in einer Ausstellung konfrontiert worden bin – ohne dass ich damals viel darüber nachgedacht hätte. Ein Dialog muss nicht direkt sein: vielleicht kommt mir beim Malen eine Vorstellung von Farbe, einer Farbe, die ich einmal in einem Bild gesehen habe – und die in meiner Erinnerung viel schöner geworden ist als im Original. So kann der Auslöser für eine neue Arbeit etwas sehr Flüchtiges sein: der Versuch, eine vage Empfindung festzuhalten oder zu rekonstituieren. Oder ich versuche einfach, einem Gedanken Form zu geben, einem Gedanken, den ich nicht in eigene Worte fassen kann.

Bei anderen Gelegenheiten arbeiten wir KünstlerInnen sehr bewusst mit Bezug zu Bildern Anderer. Die Entwicklung der jungen KünstlerInnen fängt mit der Lust am Nachmachen an: ähnlich schön zu arbeiten wie die Vorbilder. Bald wird das Nachmachen von komplexeren Gefühlen problematisiert. Wir wollen ja auch „Neues“ machen. Das muss etwas anderes sein, als das Nachbilden der Vorbilder. Hätten wir aber keine Vorbilder, wäre es nicht möglich, das Neue zu definieren und zu erkennen. Ein Dialog kann auch kritisch sein.

Was mich selbst betrifft, arbeite ich häufig mit dem Kopieren eigener Bilder und habe dabei festgestellt, dass die Kopie natürlich zu einem neuen Original wird. Es gibt hier keinen Widerspruch. Beim Kopieren und Übersetzen bringe ich viel Neues in das neue Bild ein. Ich lege meine Zeit, Leidenschaft – und Idee – in das Bild, das wird man spüren können.

Der Dialog zwischen mir und den Anderen – zwischen Neu und Alt – könnte auch so aussehen: ich nehme einfach die Arbeit der Anderen als Frage und versuche meine eigene als Antwort zu gestalten. Oder umgekehrt: meine Arbeit ist die Frage und jetzt werde ich beim Anderen eine Antwort suchen.

Im Interesse von unterschiedlichen Dialogformen zwischen Künstlerinnen und Künstlern, die über Jahrhunderte hinweg geführt werden sollen, hat Herwig Tachezi mit seiner Galerie Hochdruck diese Ausstellung mit Arbeiten Alter Meister und junger „Meister“ aus der Klasse für Grafik und Druckgrafik der Universität für angewandte Kunst Wien initiiert. Sehr großzügig hat er eine Auswahl von Druckgrafiken und gedruckten Bildern in verschiedenen Techniken und aus verschiedenen Perioden zur Verfügung gestellt. Durch diese Sammlung bot er uns KünstlerInnen aus viel jüngeren Generationen die Suche nach Fragen oder Antworten. Individuell haben wir uns für unsere jeweiligen Vorgehensweisen entschieden. Wir haben uns die alten Bilder als Modelle oder Spiegel ausgewählt, oder sie als Zündfunken für die eigene Fantasie genutzt oder sie einfach als flüchtige Empfindungen wahrgenommen.

Alles, was wir jetzt gestaltet haben, steht auf unterschiedliche Weise mit den Bildern unserer älteren KollegInnen in Verbindung – und gleichzeitig ist es von Willkür, Voraussetzungen und Inspirationen geprägt, die unser heutiges Schaffen beeinflussen. Alles ist anders und vieles ist ähnlich. Ich bin sicher, dass die Alten Meister uns verstanden hätten. Im Grunde sind sie – in ihren Leben – mit den gleichen Impulsen umgegangen wie wir.

Jan Svenungsson

Das Titelzitat „No Man is an Island“ (Niemand ist eine Insel) stammt von Meditation XVII, in: From Devotions upon Emergent Occasions, by John Donne (1623)