Jan Svenungsson

"Das perfekte Foto", in: "Schornsteinarbeit", Kunstverein Recklinghausen, 1998



Korn, Licht und Schatten einer Fotografie sorgen gemeinsam für eine Glaubwürdigkeit, die über die reine Bildoberfläche hinausgeht. Dieses Überzeugungsvermögen eines Fotos ist nicht allein vom Motiv abhängig, sondern ebenfalls von technischen Faktoren. Es kann sogar durch Fehler beeinflußt werden.

Die Einsicht, daß die Wahrnehmung eines Bildes von Faktoren beeinflußt werden kann, die unabhängig vom Verhältnis zwischen Motiv und Abbild sind, war mein Ausgangspunkt, als ich 1986 begann, mit Fotografie zu arbeiten. Zunächst fotografierte ich hauptsächlich bereits existierende Bilder. Dafür verwendete ich Schwarzweißfilme und fertigte individuelle Rahmen für meine Aufnahmen an. Als ich müde wurde, immer "neue" Bilder finden zu müssen, entdeckte ich im Sommer 1988 mitten in Stockholm einen alten Schornstein. Ich beschloß, daß dieser Schornstein ein geeignetes Objekt für "eigene" Bilder sei.

Vier Jahre lang schöpfte ich dieses ziemlich ausdruckslose Motiv aus. Voller Neugier versuchte ich mit dem unterschiedlichsten Methoden das Bild zu verändern: scharf oder unscharf, bei Tag oder bei Nacht, mit defektem Material – allerdings hielt ich Abstand von Farbe. Ich stellte mir meine Bilder – meine "Foto-Objekte" – opak vor, d.h. sie funktionierten nicht als Fenster zu einer Realität, sondern eher als Spiegel für die Vorstellungen des Betrachters.

Im August 1992 baute ich gemeinsam mit zwei Maurern einen 10 m hohen Ziegelschornstein neben dem Moderna Museet in Stockholm.

Als die Bauarbeiten beendet und die Baustelle geräumt war, hatte ich nur einen Vormittag lang Zeit, mein Werk für den Ausstellungskatalog zu fotografieren. Ich setzte mir zum Ziel, eine perfekte Repräsentation meines Motives zu schaffen. Mit hoher Konzentration ging ich an die Arbeit.

Mein Anspruch erfüllte sich.

Das Foto öffnet sich wie ein Fenster zu einer von mir erschaffenen Realität.

Am Freitag, den 16 September 1994, wurde der Stockholmer Schornstein abgerissen.

Jan Svenungsson
(translated with the help of Katrin von Maltzahn & Lutz Jahre)