Jan Svenungsson

Scholl, Julian. Text in invitation folder, Künstlerhaus Bethanien, Berlin, 1996



Viele Kunsthistoriker teilen eine Leidenschaft für Kriminalromane. Und tatsächlich haftet ihrer Arbeit etwas Detektivisches an. Das Kunstwerk kommt als Tatbestand daher, den es durch das Aufspühren von Indizien zu entschlüsseln gilt. Dabei spielt das Verwirren und Getäuschtsein eine ähnlich große Rolle wie bei Kapitalverbrechen. Bemüht man den Vergleich zur Kriminologie, so übernimmmt der Künstler traditionell die Rolle des Täters, desjenigen der für den Zustand des Tatorts/Kunstwerks mit seinem Signet verantwortlich zeichnet

Jan Svenungssons Werk bietet sich für den angedachten Vergleich im Besonderen an, spiegeln sich doch in den Blutbildern der Werkgruppe "Test" formale Aspekte, die an einen verbrecherischen Zusammenhang denken lassen. Auf den ersten Blick sieht man sich mit Blutlachen und Tropfen konfrontiert, die wie Beweisstücke eines juridischen Falls, um 90 Grad gedreht, vom Boden an die Wand gewandert sind. Wendet man sich diesen Leinwänden, auf der Suche nach Spuren genauer zu, sieht man sich getäuscht. Es handelt sich durchaus nicht um Relikte affektiv gewaltätiger oder gar kalkulierter Handlungen, vielmehr bedienen sich die Bilder des Trompe-l'oeil, der Augenwischerei!

"Test"

"Der Aussage des Künstler folgend entstand die Idee für die Bildserie "Test" 1992 als Auftragsarbeit für das Eßzimmer eines Dermatologen und AIDS Forschers in Uppsala. Der Zeuge betont, daß der Anstoß für die Tat durch die Profession des Sammlers ausgelößt wurde. Die Idee Blutstropfen zum Gegenstand der Malerei zu machen entstand aus einer klischeehaften Vorstellung, die er mit Ärzten verband: blutbespritzte Böden unter Operationstischen, befleckte Tupfer, Blutproben."

"Da mein Mandant ein äußerst ehrbarer und jeder unkontrollierten Handlung abgeneigeter Charakter ist, war für ihn nur das Darstellen des Blutes als Gegenstand, nicht aber das Blut als Material interessant. Einer ausgeklügelten Versuchsanordnung folgend stellte er Vorzeichnungen her: er mischte in einem aufwendigen Verfahren ein Rot, daß auch im getrockneten Zustand der Farbe von Blut möglichst nahe kam und ließ es auf eine Anzahl verschiedenformatige Papierbögen tropfen. Auf diese Weise erhielt er, dem Dripping einiger amerikanischen Kollegen folgend, unpersönliche Ergebnisse. Die Tropfen fielen wie sie wollten, mal schnell aufeinanderfolgend, sich zu einer Lache vereinigend, mal spärlich, feine Spritzer über das Blatt verteilend. Natürlich wußte mein Mandant um die mit Blut verbundenen Konnotationen: Lebenssaft, heißblütig, persönlich, erotisch etc., sie waren selbstverständlich teil seiner Strategie. Die eigentliche Arbeit begann jedoch erst jetzt. Über die Zeichnung wurde ein Gitter gelegt, desgleichen geschah mit einem Bildträger. Mit Hilfe dieser akademischen Methode der Weltaneignung, wurde in akribischer Arbeit Quadrat für Quadrat minuziös kopiert, bishin zu der Beschaffenheit des Papiers, das an manchen Stellen von der Sonne gelblich getönt war. Man ginge allerdings fehl in der Annahme, bei den Bildern handele es sich um eine Kopie der auf Papier formulierten Idee. Bei der Vergrößerung hatte ja eine Übertragung in das Medium Malerei stattgefunden, besonders sichtbar an der diffizielen Oberflächengestaltung. Das Sujet war jedoch nicht die Immitation von Blut, sondern die Darstellung von immitiertem Blut auf Papier."

"Verstehe ich sie richtig Herr Anwalt, daß das Herstellen einer unpersönlichen Vorzeichnung nur ein Vorwand war, um an dem Gegenstand "Blutspritzer", Malerei bzw. ästhetische Produktion vorzuführen?"

"Ganz richtig! Bedenken sie bitte den Fall Richter der scheinbar beliebige scharz/weiß Fotografien als Vorlage nutzte, um zu malen ohne abstrakt malen zu müssen. Im Falle meines Mandanten geht die Abneigung gegen die Bildfindung sogar so weit, daß er sich bemüht, auf die Gegenstände seiner Produktion gestoßen zu werden. Er empfindet durchaus keine Langeweile, eine Arbeit zu wiederholen. Er modifiziert sie höchstens geringfügig, um die Wiederholung als strukturelles Element sichtbar werden zu lassen."

"Aber ich bitte sie, Svenungssons Täuschung verfolgt doch ein Ziel. Welche andere Funktion hätte das Bild in der Wohnung des Dermatologen, als einen Tatbestand zu verwischen oder noch prekärer, die Illusion des Beiläufigen, der lüsternen Spekulation zur Verfügung zu stelllen?"

Spätestens an dieser Stelle versagt der Vergleich zur Kriminalistik. Das Verbrechen, von einigen luziden Persönlichkeiten abgesehen, genügt sich nicht selbst, es ist vielmehr Mittel zu einem dezidierten Zweck, was man von der Kunst nicht in der gleichen Weise behaupten kann.

Die eigentliche Frage, durch die Svenungssons Werk erhellt werden kann, ist die nach seiner Rolle im Kräftevergleich Inspiration - Produktion - Rezeption. Der Künstler scheint hier nicht der Täter zu sein, vielmehr ist er einem Laboranten vergleichbar, der von ihm scheinbar unabhängige Ereignisse mit den ihm eigenen Mitteln dokumentiert.

Zudem ist Svenungssons Vorgehen reaktiv. Anderes als beim herkömmlichen Bild vom Künstler, der Kraft seiner Phantasie innovativ Ideen und Bilder generiert, scheint er geradezu eine Abneigung gegen die Erfindung zu hegen. Einer einmal gefundenen Struktur unterwirft er seine Arbeit ob in Fotografie, Skulptur oder Malerei. Deutlich wird dieses Verfahren auch an seiner Inszenierung der Bilder. Die Hängung folgt hier der Reihenfolge ihrer Entstehung, d.h. im Uhrzeigersinn hängt das älteste Werk am Anfang und das zuletzt gemalte am Schluß. Zweitens haben alle Bilder exakt den selben Abstand voneinander und nur aufgrund der unterschiedlichen Formate, wird diese Lücke zwischen den Bildern als unterschiedlich groß empfunden. Mit Svenungssons beiläufiger Wahl, des Bildträgers und dessen Größe, wird so die rigide Systematik der Hängung verschleiert. Die Systematik wiederum verhindert eine Inszenierung nach geschmacklichen Gesichtspunkten, d.h. zwar haben einige Gemälde scheinbar mehr Platz, um zuwirken, es sind jedoch nicht die bedeutensten denen dieses Privileg zukommt, sondern einfach nur die kleinsten.

Julian Scholl, Berlin 4/96