Jan Svenungsson

Büttner, Claudia. "Jan Svenungssons Schornsteine - Bilder des Anstosses im öffentlichen Raum", in: Schornsteinarbeit, Kunstverein Recklinghausen, 1998


Solide gemauerte, mindestens zehn Meter hohe Industrieschornsteine aus rotem Backstein sind eine Spezialität des schwedischen Künstlers Jan Svenungsson. Er läßt sie fachgerecht errichten, danach ungenutzt in der urbanen oder ruralen Landschaft stehen und zuweilen auch wieder zerstören. Obwohl er seine Arbeiten im öffentlichen Raum plaziert, macht Svenungsson keine Kunst für den öffentlichen Raum, nicht einmal Kunst für den Außenraum.

Es sind keine Skulpturen, die der Künstler hier aufstellt. Er fügt der Umgebung auch keine funktionalen Bauten hinzu, sondern erweitert sie um ein Fake, um eine simulierte, prototypische Architektur. Er setzt damit die Arbeit derjenigen Künstler fort, die in den achtziger Jahren die städtische Landschaft zu einer Bühne für ihre Stadtentwürfe und Modelle machten. Theatralische Inszenierung und phantasie- volle Bauten waren dabei die Spezialität der sogenannten "Düsseldorfer Modellbauer", Ecker, Schütte u.a. Doch anders als die Bauten seiner Vorgänger sind Svenungssons Schornsteine keine Objekte, die den Raum umgestalten oder genutzt werden können. Und so idealtypisch wie sie in den Entwürfen des Künstlers erscheinen, so wenig sind sie Bestandteile der realen Umgebung. Svenungsson geht es nicht um eine Intervention in der realen Situation, sondern um die Wahrnehmungspotentiale verschiedener Objekt-Umgebung-Konstellationen. Seine Schornsteine verändern nicht die Situation der Stadt und ihrer Plätze, sondern vielmehr das Bild und die Ansicht derselben. Jan Svenungssons Schornsteine bleiben trotz ihrer Dreidimensionalität stets Bilder ihrer selbst. Geschaffen allein ihrer bildnerischen Möglichkeiten wegen, die der Künstler in immer neuen Versuchs- d.h. Wahrnehmungsanordnungen aufzeigt.

Der erste Schornstein war die Kopie eines bereits existierenden Schlots. Mit dieser Nachbildung vor dem Moderna Museet in Stockholm ergänzte Svenungsson seine Ausstellung photographischer Reproduktionen desselben im Innern des Gebäudes. Während sich der reale Schornstein vor dem Fenster für die Ausstellungsbesucher als eine überraschende, sehr anschauliche Transformation der Bildsituation in die Realität darstellte, fügte sich das Objekt selbst neben dem schmucklosen Flachdachgebäude unauffällig der unspektakulären Umgebung ein. Bildfindung, Bild und Auflösung desselben ergaben jeweils eigenständige Arbeiten. Das wohl eindruckvollste der Werke ist "Life and Death of a Chimney", das Echtzeitvideo von der Sprengung des Schornsteins, das im Wesentlichen vom Warten auf den Einsturz handelt. 1993 setzte Svenungsson seine Untersuchungen fort, indem er die skulpturalen Qualitäten des Schornsteines im Kontext einer Kunstausstellung im Expo-Park von Taejon in Südkorea erprobte. Inmitten der vielen bunten Kunstwerke erfuhr dieser als vermeintlich schlichtes Gebrauchsobjekt keine Beachtung. Wie bei dem ersten Schlot neben dem Stockholmer Museum verhinderte auch hier die Potenz einer realen Funktion die Wahrnehmung der Arbeit als Kunstwerk.

Dennoch wurde Jan Svenungsson 1995 im Rahmen des Ausstellungsprojektes "Port of Art" im finnischen Kotka gebeten, Kunst für den städtischen Außenraum zu schaffen. Nach eigener Aussage, ohne den Vorsatz, wieder einen Schornstein zu errichten, gekommen, legte die lokale "Schornsteinsituation" der Industriestadt die Errichtung eines Schlotes nahe. Wieder ließ der Künstler einen im Vergleich zu den früheren Schornsteinen etwas höheren Backsteinbau errichten. Doch trotz seiner 12 Meter Höhe wirkte er neben dem schlichten gelben Mietshaus lediglich wie eine niedliche, funktionslose Miniatur. Durch den Vergleich mit dem mächtigen Hausschlot des Gebäudes oder den qualmenden Fabrikschloten der Stadt wurde er zum ersten Mal als ein künstlicher Fremdkörper in der Stadt wahrnehmbar. Unter seinesgleichen war seine Inaktivität, seine Nutzlosigkeit offenkundig und der Simulationscharakter wurde erstmals zum beherrschenden Eindruck. Doch diese Wahrnehmung der Deplaziertheit sollte noch gesteigert werden. 1996 projektierte Svenungsson erstmals einen Schornstein in der freien Natur. Auf den Feldern des brandenburgischen Drewen wird er nach einigen Hindernissen zur Zeit errichtet. Ohne Anbindung an Gebäude oder denkbare Produktionsstätten wird der Schornstein zur freien Projektionsfläche über die Sinnhaftigkeit seiner Existenz. Er bleibt trotz realer Baustoffe stets ein Bild – hier das Bild eines einsamen Fabrikschlots in der leeren Weite einer gleichförmigen Landschaft.

In den Möglichkeiten und der Kraft eines solchen Bildes liegt der Sinn der Svenungssonschen Schornsteine. Mit ihnen lädt sich die Umgebung auf, wird gar einen Hauch unwirklicher. Angesichts der gleichgültigen Nutzlosigkeit seiner Schornsteine verblaßt die Banalität bemühter skulpturaler Ausstellungsobjekte in Korea genauso wie die Monotonie der kargen Mietshausumgebung in der finnischen Stadt. Svenungsson bringt, das wird in den letzten Aufstellungen zunehmend deutlicher, mit der Kombination schlichter Einfachheit und vollständiger Sinnlosigkeit einer ungeachteten Alltagsarchitektur einen surrealen Zug in unseren Alltag. Kaum bemerkt stört er unsere routinierte Alltagswahrnehmung, kreiert Bilder des Anstosses. Die spektakulärste Bildkomposition plant Svenungsson in Norrköping, Schweden. Hier beabsichtigt er die Aufstellung eines Schornsteins inmitten der inzwischen von Produktions- und Lagerstätten zu Büro- und Wohnhäusern umgenutzten Gebäuden – im Binnengewässer der Stadt. Der sinnlos und verloren aus den Wasserfluten herausragende Schlot eröffnet hier kein unbestimmtes assoziatives Möglichkeitsfeld mehr, sondern legt Vorgänge, Geschichte nahe. Er erscheint wie ein zurückgebliebenes Relikt, das – im Nachvollzug der tatsächlichen Transformation der Stadt – an den Abstieg und Untergang des industriellen Zeitalters erinnert. Ob diese melancholische Vision zu prekär für die Vertreter einer neuen Zeit sein wird, muß sich erst zeigen. Noch ist über die Aufstellung nicht entschieden worden.

Claudia Büttner, Juli 1998