Jan Svenungsson

Seidel, Martin. “Jan Svenungsson – Der Schlüssel zum Text, 2002”, in: Kunst am Bau – Projekte des Bundes 2000-2006, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, 2007

Jan Svenungsson ist ein Grenzgänger der Künste. Markenzeichen des in Berlin lebenden Schweden sind fachmännisch aufgemauerte Schornsteine, die im Stadtraum oder am Dorfrand auf der Wiese stehen oder gar vergraben werden und wegen ihrer vorsätzlichen Zwecklosigkeit mitunter für Irritation sorgen.

Große Zustimmung fand Jan Svenungssons Vorschlag bei dem auf acht Teilnehmer beschränkten einstufigen Kunst-am-Bau-Wettbewerb für das 2001 im Bonner Bundesviertel vom Architekturbüro Heinle, Wischer & Partner, Köln, fertiggestellte Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Zu den Hauptaufgaben des Bundesinstituts, dessen Sitz als Ausgleichsmaßnahme von Berlin nach Bonn verlegt wurde, gehört die Zulassung von Arzneimitteln, die Registrierung von homeopathischen Arzneimitteln, die Risikobewertung von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie die Überwachung des legalen Verkehrs mit Betäubungsmitteln und Grundstoffen. Was sich Svenungsson für diesen aus einem parallel zur Straße verlaufenden Längstrakt und vier angedockten, in sich geknickten Riegeln bestehenden Bau einfallen ließ, zeugt von der programmatischen Wandlungsfähigkeit des Künstlers, der von sich sagt: “Ich bin nicht Maler, Fotograf oder Bildhauer. Ich bin ein Künstler, der mit Ideen arbeitet, die dadurch Gestalt annehmen, dass ich mich für Momente zum Maler, Fotografen oder Bildhauer mache.”

Der Schlüssel zum Code”, wie die Ende November 2001 vollendete Arbeit heißt, besteht aus einer zentralen Plastik im Gebäudeinnern und fünf vor dem Gebäude beziehungsweise in den Höfen und Licht-höfen verstreuten “Satellitenskulpturen”, die alle in zunächst zufällig und sinnlos erscheinender Reihenfolge Buchstaben kombinieren, Was sich in unterschiedlichen skulpturalen Formationen als TACG, DVQVPJ, KRDCWI, RISGNH, XRR und schließlich QLPVDZFTTYR liest, lässt sich mithilfe der fast sieben Meter hohen Hauptskulptur im Foyer entschlüsseln, die als einzige der Skulpturen neben der Chiffre YFAJEXSHSXJDPJUGRBQVPECPMICKMBL auch den Klartext, nämlich explizit das Wettbewerbsthema, preisgibt: “NICHT AUF HALBEM WEGE STEHEN BLEIBEN”. Knackt man diesen Code, lassen sich auch die Satelliten lesen: IDEE, SYSTEM, ZUFALL, GLUECK, MUT, während das Buchstabengewirr des Teppichs unter der Hauptskulptur im Foyer die Parole FORTSCHRITT ausgibt.

Verglichen mit dem anarchisch-subversiven künstlerischen Ansatz der Schornsteine wirken Svenungssons Skulpturen für das Bundesinstitut wie grundsolide, von großem Materialbewusstsein getragene Bildhauerei, Die Hauptskulptur besteht aus weiß, rosa, eisblau und orange lackierten glasfaserverstärkten Kunststoffen, die Außenskulpturen aus verschiedenen Granitsorten und unterschiedlich patinierter Bronze, hinzu kommt der handgeknüpfte Teppich. Auch die Verteilung der Skulpturen, die formale Anordnung der Buchstaben in unterschiedlich hohen Türmen, Stapeln und in horizontalem Nebeneinander garantieren die Vielfalt der Eindrücke wie auch die gezielte Einbettung in das jeweilige architektonische und gartenlandschaftliche Ambiente.

Trotz des hohen bildhauerischen Elaborationsgrades befinden sich die Skulpturen und Plastiken, was künstlerische Erfindungsgabe, Innovationskraft und Finesse anbelangt, keineswegs in Vorreiterposition. Das streben sie auch gar nicht an. Denn so sehr Jan Svenungsson nicht Maler, Fotograf oder eben Bildhauer ist, sondern “Künstler, der mit Ideen arbeitet”, so sehr sind die Buchstabenskulpturen Ausdruck einer Kunst, deren Interessen über Form-und Materialfragen weit hinausgehen.

Besonders wichtig sind offensichtlich das strategische Hinterfragen und Steuern von Wahrnehmung und die Strukturen und Inhalte der künstlerischen Geheimniskrämerei. Svenungsson beschreibt den Impetus der Arbeit so:
– “Mein Ausgangspunkt: Die Arbeit des Wissenschaftlers kann als die Suche nach einer versteckten Ordnung verstanden werden - als ein Erkennen von bedeutungsvollen Beziehungen von etwas, was zunächst chaotisch erscheint. Eine Suche nach dem Schlüssel zum Code. Am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte klassifizieren, registrieren und beurteilen Wissenschaftler und andere Experten die Ergebnisse von (medizinischer) Forschung, die meistens außerhalb ihres Hauses stattgefunden hat. Ich stelle mir diese Arbeit als eine doppelte Decodierung vor - ein Interpretieren von Interpretationen.”

Dabei symbolisiert die von außen sichtbare Skulptur im Foyer, die den Schlüssel zum Verständnis des Ganzen bildet, die Transparenz und die prinzipielle Zugänglichkeit der im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gewonnenen Erkenntnisse. Die das Gebäude räumlich wie unter Spannung stellenden “Satelliten” paraphrasieren miteinander verknüpfte komplexe Forschungsstrukturen. Die an Moleküle erinnernde Skulptur im Foyer nimmt darüber hinaus fast logoartig Bezug auf die Nutzung des Gebäudes, während sich die Satellitenskulpturen als institutsbezogene Maximen, Losungen und Verheißungen ins Spiel bringen.

“Der Schlüssel zum Code” ist eine speziell auf die Nutzung des Gebäudes abgestimmte moderne Allegorie der Wissenschaft. Auch nachdem Mitarbeiter und Besucher des Bundesinstituts den Code geknackt haben, bleibt die strategisch eingesetzte bildhauerische und materialästhetische Anmutung der Skulpturen und ihre Einbindung in unterschiedliche Umgebungen bestehen. Die Chiffren erschöpfen sich nicht in der Kenntnis der “Wortbedeutung”. So bieten die dezentral platzierten und von verschiedenen Gebäudebereichen sichtbaren Wortskulpturen letztlich jedem Mitarbeiter die Möglichkeit einer persönlichen Aneignung und Identifikation.

Martin Seidel