Jan Svenungsson

Springfeldt, Björn. "Jan Svenungsson - Schornsteinprojekt für Drewen", in: Märkische Allgemeine 19.6.1998


Der amerikanische Künstler Robert Rauschenberg hat einmal gesagt: "Einen Berg besteigt man, weil er da ist, ein Kunstwerk schafft man, weil es nicht da ist."

Und diese Nicht-Existenz besteht nicht nur aus der Tatsache, dass das Kunstwerk nicht als gestaltete Materie existiert, sondern auch darin, dass es nicht als immaterielle Substanz, als fertige Idee existiert.

Es ist in dem Bewusstsein des Künstlers lediglich als eine Möglichkeit vorhanden, dass etwas zuvor nie Erblicktes, nie Gedachtes, nie Vorgestelltes physische Gestalt annehmen kann. Und hier, vor diesem Neuen, kann zuerst der Künstler und dann jeder, der mit dem Werk konfrontiert wird, sowohl über das Rätsel des Menschen selbst, als auch über die Rätselhaftigkeit der Welt, in der wir leben, nachdenken.

Wir stehen hier vor dem Werk Jan Svenungssons, und das ist wahrhaftig etwas, was es schon zuvor gegeben hat und das es überall in der Welt in einer solchen Vielfalt gibt, dass es vielleicht nicht mehr sichtbar ist, und wir müssen uns fragen, was das Werk zunächst von dem Künstler gewollt hat, und schliesslich, was es von uns will.

Ist es letztlich nicht so, dass das Fruchtbarste und Spannendste in unserem Leben eben diese Situation des Fragens und Herantastens an Fragen ist, die uns zu einer Erkenntnis führen können?

Eine Gemütsverfassung, die unser Denken schärft und unser Gefühl vertieft und an die wir uns sicher alle von unserer Kindheit her erinnern, die aber später bei den meisten von uns erloschen zu sein scheint oder nur als schwache, fahle Glut weiterlebt. Die vielleicht angesichts eines Kunstwerks oder eines rätselhaften Naturphänomens auflodern und uns einige verdichtete Augenblicke lang den philosophischen Sinn des Kindes, als aktives Nachfragen des Poeten und des Wissenschaftlers, zurückgeben kann.

Doch ist die Kunst - oder die Wissenschaft - für allzu viele von uns eine Kategorie, die uns nicht gehört, zu der wir keinen Zugang haben, weil wir uns einbilden, sie sei viel zu schwer, sie stelle uns vor Fragen, die so kompliziert sind, dass sie uns nichts angehen. Und wie oft erlebt man nicht, dass eine aktive Fragestellung sich in nichts auflöst, wenn wir feststellen, dass dieses Herausfordernde und Fremde in dem Moment entschärft wird, wo es sich in eine dieser Kategorien einordnen lässt?

Ein - sicher bewusst eingerechneter - Vorteil der Strategie bei der Skulptur Jan Svenungssons, dem "Schornstein", vor dem wir hier bald stehen werden können, ist, dass ersich auf diese Weise nicht so leicht abfertigen lässt.

In seiner kraftvollen und wohlbekannten Gestalt, an einem so eigentümlichen und fremdartigen Ort, lässt er eine Menge Fragen aufleben, die alle um umwälzende Geschehnisse in unserer Gesellschaft kreisen.

Hier gibt es die Hoffnung des jungen Industrialismus, wo der Rauch aus dem Schornstein Brot für immer mehr Menschen verhiess, hier gibt es dieses kunstfertige Handwerk, dass durch Rationalität des Funktionalismus und der Wirtschaft fast verloren gegangen wäre, hier gibt es jene maskuline Tatkraft, die sowohl hinter der Struktur als auch hinter dem quantitativen Inhalt unserer Gesellschaften und hinter den zunehmenden Problemen steht, mit denen wir uns heute auseinandersetzen müssen und bei denen uns immer noch die tragenden Ideen für eine wünschenswerte Zukunft fehlen.

Und hier gibt es nicht nur jene Fragestellungen, die sich schnell einfinden, sondern auch eine tiefere Rätselhaftigkeit, die sich vielleicht nicht in Worte fassen lässt.

Für mich ist deshalb dieses Werk Jan Svenungssons, das hier in seiner vierten Gestalt entstanden ist - die erste stand 10 Meter hoch in Stockholm, die zweite steht 11 Meter hoch im finnischen Kotka und demnächst 13 Meter hoch in Drewen -, ein tiefsinniges und reiches Kunstwerk, und ich kann dem Künstler Jan Svenungsson nur zu seiner Eingebung gratulieren, in so guten Händen wie denen von Winfried Muthesius gelandet zu sein, der ihm ermöglicht hat, es diese Gestalt annehmen zu lassen. Und ich beglückwünsche alle, die es an diesen Ort führt und die angesichts dieses Werkes zu einer geistigen Reise eingeladen werden, die uns nur wirklich gute Kunstwerke anzu bieten haben.

Björn Springfeldt