Jan Svenungsson

"Sich Modelle Vorstellen", in: Kunst und Bau, Nummer 1, Vexer Verlag, St. Gallen 2014



Wer heute Bilder macht, muss auch in der Lage sein, sein Werk in Sprache und Text zu übersetzen. Das wird einfach erwartet. Sind die Produktionen eines Künstlers aufwendig und mit hohen Kosten verbunden, so muss diese Übersetzung meist schon vor der Realisierung eines Projektes stattfinden. Dies gilt insbesondere für Kunst-im-öffentlichen-Raum-Aufträge. Hier erscheint die Übersetzung mithin vor dem eigentlichen Text, und die Arbeit kann nur dann realisiert werden, wenn die Übersetzung erfolgreich war. Seltsam. Der Künstler muss seinem Werk durch Sprache Leben einhauchen.

Um einen Wettbewerb für ein Projekt im öffentlichen Raum zu gewinnen, ist eine zusätzliche Übersetzung notwendig, und zwar in Form eines Modells. Dessen vorrangige Aufgabe ist allerdings eine interne: Sie hilft dem Künstler, Resultat und Wirkung seiner Idee zu überprüfen. Anschließend wird das Modell als Werkzeug benutzt, um andere für das Projekt zu begeistern.

Wenn ich mit einem Modell arbeite, versuche ich zuerst, alle möglichen Fallstricke und Probleme, dem Projekt widerfahren könnten, zu durchdenken. Um die Gestaltung rechtzeitig optimieren zu können, möchte ich in der Lage sein, Fehlerquellen früh zu erkennen (seien sie ästhetischer, materieller, maßstabsbezogener oder emotionaler Natur). Wenn ich mein Modell einsetze, um andere von meiner Idee zu überzeugen, benutze ich es in entgegengesetzter Weise: Nun möchte ich mein Publikum mit dem Versprechen meines Projektes so beeindrucken, dass seine Gedanken nicht in die Nähe potenzieller Problemquellen schweifen. Mein einziges Ziel ist es, die entscheidenden Personen dahingehend zu beeinflussen, dass sie bereit sind, sich uneingeschränkt für die Verwirklichung meines Konzeptes einzusetzen.

Wir, die hier eingeladen sind, über die für den öffentlichen Raum bestimmte Installation Zugabe von Florian Dombois zu schreiben, befinden uns in einer Situation, in der wir über die Rolle und Bedeutung von Modellen auf mindestens drei Ebenen nachdenken müssen:

Erstens äußern wir uns, bevor die eigentliche Arbeit existiert. Ich habe Fotos gesehen, die ein Modell von Zugabe mitsamt einem Modell des entsprechenden Gebäudes zeigen. Ich habe auch Fotos aus der Werkstatt gesehen, in der die Arbeit produziert wird. Weder ich noch Florian oder sonst jemand weiß jedoch, welche Wirkung die Arbeit haben wird, wenn sie fertig und installiert ist. Wir alle können nur spekulieren.

Zweitens wird Florians Arbeit, die bisher nur als Modell existiert, auch in ihrer endgültigen Größe ein Modell sein – eine verkleinerte Darstellung des zentralen Teils von Schloss Sanssouci.

Drittens wird sie auf dem Hof des Landtagsgebäudes platziert, einem neuen Bauwerk, das seinerseits eine Art Modell ist, denn seine Fassade wiederholt maßstäblich jene des Potsdamer Stadtschlosses, das vor langer Zeit gesprengt wurde. Während wir schreiben, befinden wir uns also in einer Echokammer, die aus Modellen und Modellen von Modellen besteht. Keiner von uns hat den tatsächlichen Effekt von Florian Dombois’ Kunstwerk erlebt. Wir müssen unsere Fantasie gebrauchen, um diese Leerstelle mit Inhalt zu füllen. Unabsehbar ist zudem, wie die Wirkung dieser Arbeit sich in den kommenden Jahren entfalten wird. Kunst im öffentlichen Raum bleibt im Vergleich zu Kunst im Ausstellungsraum länger vor Ort, sie altert und nimmt Patina an. Ihre Umgebung verändert sich – visuell und in ihrer Bedeutung. Was bringt es mit sich, über meine Vorstellung von der möglichen Wirkung einer Kunstinstallation zu schreiben, in deren Natur es ja liegt, meine Fantasie anzuregen? Kann ich mir überhaupt begreiflich machen, wie meine zukünftige Betrachtung von einem Objekt ausfallen wird, die ich mir zu diesem Zeitpunkt noch vorstellen muss? Und wenn dies möglich ist, was sagt das über Florians Arbeit aus?

Die besten öffentlichen Kunstprojekte haben sich in doppelter Weise bewährt. Zunächst einmal haben sie bewiesen, dass die ihnen zugrunde liegenden Ideen oder Konzepte stark genug waren, um ohne schwächende Kompromisse, die die Kernqualitäten des Werkes beschädigt hätten, umgesetzt werden zu können. Dann, in ihrer endgültigen Form, haben sie überraschende Eigenschaften offenbart, die selbst alle vorangegangenen Verbalisierungen und Modelle nicht hatten erahnen lassen. Kunst lebt von dem, was nicht beschrieben werden kann. Die Realität übertrumpft die Idee und generiert neue Wahrnehmungen.

Während ich über Florians Arbeit Zugabe nachdenke, bin ich gespannt darauf, wie der Illusionismus seiner gemalten Modellfassaden im Vergleich zu dem gebauten Illusionismus der Modellfassaden des Landtagsgebäudes altern wird.

Jan Svenungsson