Jan Svenungsson

"Golif – Ein Anfang", in: Golif 13-23, Drava Verlag, Klagenfurt 2024.


Eines Tages stellte mir D. eine überraschende Frage: Was halte ich davon, dass er Golif wird?

Er hatte nicht vor zu verschwinden. D. würde immer noch existieren und weiter an seinen Projekten arbeiten, während diese neue Figur, Golif, seine Möglichkeiten erweitern und seine große Erfahrung mit Graffiti und Street Art nutzen würde. Golif würde keine Skrupel haben, sehr produktiv zu sein. Während D. zu dieser Zeit viele Drucke in kleinen Auflagen herstellte, würde Golif Originalzeichnungen in großer Zahl produzieren. Ich verstand, dass dieser Aspekt wichtig war. D. hatte das Gefühl, dass Golif auf eine Weise frei sein könnte, wie er es vielleicht nicht war. Es war klar, dass er auch hoffte, mit seiner Kunst Geld zu verdienen. Er hatte es satt, auf Baustellen zu arbeiten, um über die Runden zu kommen. Und was dachte ich?

Schließlich antwortete ich: Nein, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.

Ich riet ihm, es nicht zu tun. Ich dachte, D. würde sich mit mehreren Identitäten verirren, und auch der kommerzielle Aspekt der Sache schien mir suspekt. Einen Avatar erstellen, um etwas zu tun, was man aus gutem Grund nicht tun sollte? Ich glaubte nicht, dass das gut gehen würde.

Meine Worte stießen auf taube Ohren.

Golif hat sich 2013 der Welt vorgestellt. Seitdem ist er sehr aktiv und ich verfolge seinen Weg mit Faszination. Ich habe gesehen, wie Golifs Bildsprache sich im Laufe der Zeit (langsam) entwickelt hat, und ich habe erkannt, dass es ein wahrer Akt von Kreativität ist, immer neue Bilder für seine unverwechselbaren „Character“ zu schaffen. Wiederholungen sind ein wichtiger Teil von Golifs Arbeit, aber heute erkenne ich, dass er, wenn er eine neue Serie von Gesichtern oder Figuren mit dem horizontalen Strich über den Augen beginnt, dies tut, weil etwas in diesem Prozess für ihn wirklich bedeutsam ist.

Golifs Bildsprache ist eine Art Kalligraphie. Ihre Wurzeln liegen in kühnen Pinselstrichen auf weißem Papier, die keinen Platz für Fehler lassen. Ohne die Möglichkeit, Korrekturen vorzunehmen, ist die Konzentration des Künstlers auf die Aufgabe des Augenblicks entscheidend. Durch die endlose Wiederholung der Geste geht sie in das Muskelgedächtnis ein, das jedoch mit der Selbstbeobachtung verbunden ist. Ich sehe, dass Golif ständig mit verschiedenen Formaten und Materialien experimentiert, dabei aber immernah am Kern der Persönlichkeit seiner „Character“ bleibt. Das funktioniert, solange er jedes neue Bild so angeht, als wäre es das Wichtigste, das er je gemacht hat.

Ein Gegenstück zur repetitiven Produktion von Einzelbildern sind die großformatigen Arbeiten im urbanen Raum. Ihre Entwürfe gehen auf Golifs kalligraphische Praxis zurück, aber der malerische Prozess ist hier aus offensichtlichen Gründen ein völlig anderer. D.s frühe Erfahrungen mit der Arbeit auf Baustellen und dem nächtlichen Malen von Graffiti unter Zeitdruck haben ihn gut gerüstet, riesige Wandmalereien bei Tageslicht auszuführen. Im Jahr 2016 malte er ein außergewöhnliches, riesiges schwarz-weißes Bodenbild auf dem Parkplatz neben der Marxhalle in Wien. Als ich ihn bei der Arbeit besuchte, sagte mir D., dass Golif das ganze Bild allein malte. Später erzählte er, Golif sei Hunderte von Kilometern zu Fuß gelaufen, nur um dieses Bild zu malen. Dies war keine dekorative Idee, die von anonymen Auftragnehmern ausgeführt wurde. Der stolze Künstler machte alles selbst und vertraute nur auf seine eigenen Hände.

Es ist das einzige Bild, das ich kenne, für welches ich Google Earth brauchte, um es den Leuten zu zeigen. Während ich schreibe, acht Jahre später, ist es immer noch als Spur zu sehen – verborgen unter einem Zirkuszelt.

Ein weiterer Aspekt von Golifs Aktivitäten ist sein Talent als Performer. Früher war Golif eine eher mysteriöse Figur, maskiert und geheimnisvoll. Heute ist er etwas weniger heimlich, aber nicht weniger charismatisch. Wenn er etwas wirklich will, bekommt er es auch. D. ist ein Meister darin geworden, die Rolle zu spielen, die heute sein Leben beherrscht. Gleichzeitig bietet sie ihm all diese kreativen Herausforderungen und Möglichkeiten, die er ständig erweitert. Golifs grundlegende Integrität hat mich immer beeindruckt, seit er mir zum ersten Mal vorgestellt wurde, und ich alles getan habe, um seinen Schöpfer davon zu überzeugen, ihn nicht zu verwirklichen.

Wenn wir uns heute treffen, D., Golif und ich, dann ermutige ich sie eher, mehr Risiken einzugehen, als sich zurückzuhalten. Sie haben so viel Potenzial. Dies sollte erst der Anfang sein.

Jan Svenungsson
2. Mai 2024