Fechner-Smarsly, Thomas. "Schornsteinkunst - Svenungsson in Neuruppin",
in: Frankfurter Rundschau, 29.3.2000
An Epigonen herrscht zwar kein Mangel. Doch nur wenige jüngere Künstler treiben das Erbe Marcel Duchamps mit dem notwendigen Eigensinn weiter. Zu ihnen gehört der 1961 geborene Schwede Jan Svenungsson, der seit einigen Jahren in Berlin lebt. Sein Programm: Die eigene handschrift auslöschen und - zum Beispiel - einen Schornstein bauen. Ein wenig einsam, wie er da auf einem Acker unweit von Neuruppin in der Mark Brandenburg steht. Nicht, dass es hier keine Schornsteine gäbe, im Gegenteil. Insofern mag er manchem wie eine Provokation vorkommen. Jedenfalls dann, wenn er unte Kunstverdacht fällt. Aber darauf verfällt nicht jeder. Zu alltäglich und unauffällig, um rätselhaft zu sein, zu auffällig plaziert, um nicht aufzufallen und zu irritieren. Was macht der Schornstein auf dem Acker?
Auch Svenungssons andere, jedes mal einen Meter höher errichtetet Schornsteine ragen irgendwie seltsam heraus: neben einem Wohnblock im finnischen Kotka, in einem Park in Südkorea, mitten aus einem Gewässer im Zentrum einer früheren Textilstadt in Schweden. Als minimalistiche Monumente auf ein vergangenes Industriezeitalter stehen sie da wie Mementos auf die eigene Nutzlosigkeit.
Auf den ersten Blick ähnlich wie, doch im Grunde ganz verschieden von Christo umstellt Svenungsson seine projekte durch eine Reihe von Zeichnungen und Grafiken, Skizzen und Photographien. Sie dienen weniger der Imagination und kaum einmal der (Vor-)Finanzierung, beziehen sich dafür gerne auf populäre Bildgattungen wie Erinnerungsbild (mit Maurern) oder Cartoon und scheinen zudem die Rückführung von Technik in Handwerk zu üben. Wie aussieht wie der schlecht gemachte Siebdruck einer Farbfotografie eines Schornsteines, ist in Wirklichkeit ein langwierig hergestellter Holzschnitt, bei dem die einzelnen rasterpunkte der Vorlage auf je einen Druckstock für jede der vier Farben des Drucks übertragen wurden. Aufwand und visuelles Ergebnis stehen in keinem Verhältnis, doch das ist Absicht. Wie auf Svenungssons Serien von "Blutbildern" und Europakarten ("Psycho-Mapping Europe") geht es auch hier um die exakte Kopie und die sich einschleichenden Abweichungen, und damit grundsätzlich um alte Fragen an die Kunst und wie wir sie definitorisch festlegen in (Schein-) Gegensätzen von Handwerk und Technik, von Können und Dilettantismus, von Zufall und Ordnung, von Perfektion und Fehler, von Original und Kopie. Svenungssons Schornstein bleibt dazu stumm, als wollte er sagen: dies ist kein Schornstein.
Thomas Fechner-Smarsly