Jan Svenungsson

Gohlke, Gerrit. "Kunst in der Krise über den Krieg - über Jan Svenungssons Psycho-Mapping the Current Crisis", in: BE-Magazin, # 9, 2003


Die Tafeln sind etwa 1,20 breit und zeigen nicht die Krise. Es handelt sich um 20 ordentliche Gemälde in Öl, die den Verlauf einer Konzentrationsübung zeigen, der Konzentration des Künstlers auf ein großes politisches Spiel. Im Laufe des Spiels wird ein Diktator flüchten oder sterben. Seine Generäle verlieren die Macht. Eine übermächtige Armee besetzt das Land. Die technische Überlegenheit und das strategische Kalkül einer Supermacht haben die Karten in dieser Weltregion neu gemischt.

Welche Regeln aus diesem Spiel zu ziehen sind, bleibt unklar. Einige Beobachter sind der Ansicht, dass wir nur den Prolog eines späteren Hauptakts gesehen haben. Dann hätten wir einem militärakademischen Lehrstück beigewohnt, in dem zu beweisen war, dass politisch-strategische Störgebilde operativ zu entfernen sind – und dass mit erlebnisnaher Öffentlichkeitsarbeit ein Krieg zu gewinnen ist. Für die Öffentlichkeit stellt sich die Lehre leicht verschoben dar. Alles ist Lüge, denken die Skeptiker, die sich mit dubiosen Suggestionen über den Kriegsgrund betrogen fühlen, und haben so eine tiefe Grundüberzeugung gewonnen: Nur wer den Medien gar nichts mehr glaubt, hat einen einigermaßen sicheren Standpunkt gegenüber den Ereignissen.

Hat die Kunst hier einen Vorsprung, weil sie schon lange nichts mehr glaubt? Und was kann sie darstellen, wenn selbst die Fotografien der Nachrichtenmedien nicht als unsichere Spekulationen über Perspektive und Standort des Korrespondenten sind?

Jan Svenungssons Antwort ist so naheliegend, dass sie überrascht. Was übrig bleibt, ist das Kartenmaterial.

Krisen und Kriege deuten sich durch eine Inflation der Kartographien an. Unsichtbar in den militärischen Stäben und öffentlich in den Magazinillustrationen wird die Geographie der Schauplätze gelehrt. Der Künstler als Beobachter memoriert die Verzeichnisse der Handlungsorte wie jeder andere Konsument. Die Zirkulation der Kommentare und Informationen nimmt täglich zu, und das Atelier wirkt daneben wie ein extramundaner Ort. Die Bildsprache des Krieges besteht vor seinem Beginn aus geodätischen Fakten. Svenungsson nimmt das einzig verfügbare Material und beginnt es zu malen.

So konzentriert sich die Kunst auf die Politik: Durch die trotzige Versenkung in das Rahmengerüst aller Fakten. Tafel für Tafel malt Svenungsson aus dem Kopf die Geographie der Krise. Jede Tafel entsteht als Gedächtniskopie ihrer unmittelbaren Vorgängerin. Kopie für Kopie werden die Fehler des Künstlers zu Bestandteilen der politischen Lage. Die limitierte Autonomie der Kunst verändert ironisch die Grenzen, auf die sie nicht einwirken kann, und dringt als Störfaktor in das Netzwerk der Fakten ein. Zugleich markiert der Maler das Sicherheitsrisiko der gefährdetesten Nationen durch die farbige Füllung der Flächen. Jede dieser Markierungen ändert sich nach einem Zufallsprinzip von Bild zu Bild. Die Wahrscheinlichkeit der Veränderung bleibt dabei abhängig von der Nähe zur Krise. Mit jeder Veränderung der Farben steigt die statistische Wahrscheinlichkeit weiterer Variationen. Das formale Prinzip versetzt Erinnerung und Geografie in dynamische Bewegung, bis sich die Bewegung der Veränderungen von der realen politischen Krise sichtbar emanzipiert, ohne von den Bezügen zu ihr jemals lösen zu können. Es entsteht eine Art innere Kartographie des künstlerischen Erinnerungsvermögens, ein Abbild der Annäherung der malerischen Logik an das mediale Epizentrum der Welt.

Wenn der Maler nicht malt, sammelt er Nachrichten wie der Rest der Welt. Die Stockholmer Ausstellung, in der die Arbeit kurz vor Ausbruch des Krieges zum ersten Mal zu sehen sein wird, zeigt die Zeitungsausschnitte gleichberechtigt neben den kartographischen Bildern. Die Wände des Galerieraums sind im mathematischen Rhythmus der farbigen Variationen bemalt. Abstraktion, Nachricht und Repräsentation gehen eine unauflösbare Mischung ein. Die Malerei hat sich die Krise einverleibt, ist in ihr untergegangen und bleibt ihr doch fern. Das politische Unvermögen der ästhetischen Logik ist mit voller Absicht zum Verfahren der Kunst geworden. Man entkommt dem Krieg nicht. Man erreicht ihn nicht. Man kommt nicht umhin sich zu weigern, etwas anderes zu malen. Und am Ende: Ist das Eigenleben der Variationen und Verschiebungen nicht die bösartigste Kritik an den Schaubildern der Krise, wie man sie täglich als Nachricht konsumiert?

Jan Svenungsson zeigt nicht die Krise. Er führt ihre Unaufführbarkeit auf.
Gerrit Gohlke