Jan Svenungsson

Naguschewski, Dirk. (Vor-)Überlegungen zu einer Ausstellung als Beitrag zur Debatte „Kunst und Wissenschaft“, 2007 (first publication here)


Die Frage danach, was sich Kunst und Wissenschaft zu sagen haben, durchzieht aktuell eine Vielzahl von Debatten, die von der Fruchtbarkeit interdisziplinärer Unternehmungen ausgehen. Im Einzelfall erweist es sich indessen als mühsam, für den Dialog der Disziplinen geeignete Codes zu finden. Die mögliche Unterscheidung, dass es sich bei Wissenschaft um ein sprachlich verfaßtes Feld handelt, bei Kunst hingegen um primär bildlich strukturiertes, und ein Dialog allein schon deshalb nicht erfolgreich sein kann, greift zu kurz. Wissenschaft hat immer auch auf die Kraft bildlicher Darstellungen gebaut, die die Sequenzialität der Schrift integrieren, umgehen oder ergänzen mögen. Und Kunst hat seit jeher mit Formen der Schriftbildlichkeit operiert. Wollen Künstler und Wissenschaftler aber miteinander reden, müssen sie vor allem jene Aspekte bzw. objektivierbare Einheiten definieren, über die sie Aussagen treffen wollen, und danach forschen, ob es im Feld des anderen etwas gibt, das sich hierzu in Beziehung setzen lässt (ohne allerdings in Gleichförmigkeit aufgehen zu können).

„Sprachverschmelzende Mitteilungen“ heißen die Bilder von Jan Svenungsson, und auf die Bitte, hierauf aus Sicht der Linguistik zu reagieren, habe ich mich dazu entschieden, Arbeitsfelder und Methoden der Sprachwissenschaft zusammenzustellen. Nicht, um mit ihnen schon die Kunst Svenungssons zu interpretieren, sondern um aufzuzeigen, auf welche Ebenen von sprachlicher (und mitunter auch bildlicher) Kommunikation die Linguistik (oder allgemeiner auch: die Semiotik) ihr Augenmerk richtet, auf dass sich Kreuzungspunkte ergeben, an denen sich das Interesse des Künstlers und das Interesse des Wissenschaftlers möglicherweise begegnen.

Formal wurden dabei Gestaltungsprinzipien des Künstlers übernommen: Hieraus ergibt sich vordergründig zwar ein Moment der Arbitrarität, doch da jede Form der Veröffentlichung äußeren (Sach-)Zwängen unterliegt, gilt es, diese Vorgaben produktiv zu machen. Wo Svenungsson also zwei Serien von je fünf Bildern anfertigte, auf denen jeweils zwei verschiedensprachige Fassungen eines Textes gemeinsam zu einem Text-Bild zusammengefügt werden, habe ich zwei Gruppen von Schautafeln zusammengestellt, die jeweils fünf Teildisziplinen der Sprachwissenschaft umfassen, die wiederum in jeweils fünf Reihen präsentiert werden.

Als scheinbar antiquiertes Format der Wissensvermittlung greift die Schautafel zum einen das Bildformat der „Sprachschmelzenden Mitteilungen“ auf, will aber auch deutlich machen, daß diese Form von öffentlicher Wissensdarstellung, wie sie im Museum praktiziert wird, immer auch ein Austarieren von Information und dem zur Verfügung stehenden Platz bedeutet – eine Notwendigkeit, die noch bei der Produktion von Büchern spürbar ist, deren Umfang ja ebenfalls von kontingenten Parametern mitbestimmt wird. Wie die Kunst muss sich auch die in Textform gebrachte Sprache den Dimensionen des Raumes oder der Zeit unterwerfen.

Teildisziplinen und Methodenvielfalt der Sprachwissenschaft in zwei Fünfer-Serien zu präsentieren, gehorcht somit einer formalen Willkür, die aber gleichwohl nicht verhindert, eine inhaltlich konsistente Aussage zu treffen. Damit wird also keinesfalls angestrebt, Sprachwissenschaft in ihrer Totalität darzustellen, ein Unterfangen, daß angesichts divergierender Meinungen darüber, was Sprache, was Linguistik denn ‚tatsächlich’ seien, ohnehin zum Scheitern verurteilt wäre. Statt dessen soll ein sinnfälliger Ausschnitt gezeigt werden, der deutlich macht, daß sich die Linguistik mit Aspekten von Sprache und Kommunikation befaßt, mit denen auch die Kunst im allgemeinen zu tun hat; speziell aber auch ein Instrumentarium an Methoden und Darstellungsformen erprobt werden, dass geeignet wäre, auf die Fragen, die JS mit seinen Bildern stellt, zu antworten.

Wenn auch in gänzlich anderer Form. Als Teildisziplinen wurden – mit Blick auf das Konzept des Kurators und des Künstlers – präsentiert:

— Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, Stilistik

— Sprachtypologie, Dialektologie, Kontaktlinguistik, Soziolinguistik, Pragmatik

Jede Längsreihe wurde auf der obersten Tafel mit einem Titel versehen, dem Namen der Teildisziplin.

Eine zweite Tafel gibt – wie in Nachschlagewerken üblich – Aufschluss über die jeweilige Etymologie dieser Namen.

Hierbei wird bereits die inhärente Mehrsprachigkeit der Linguistik bzw. eines philosophisch-wissenschaftlichen Nachdenkens über Sprache deutlich, die auch auf anderen Tafeln demonstriert wird. Beginnend in der griechischen Antike, über Augustinus, über die volkssprachigen Sprachphilosophen der Neuzeit, bis hin zu der sich ausdifferenzierenden Sprachwissenschaft der Romantik und schließlich Ferdinand de Saussure, dessen Cours de linguistique générale nicht nur für die Sprachwissenschaft des 20. Jahrhunderts maßgeblich war, sondern sämtliche (post-)strukturalistischen Gesellschafts- und Geisteswissenschaften prägte. Das Denken über Sprache war immer schon auch ein Denken in verschiedenen Sprachen.

Die dritte Tafel versucht, die jeweiligen Teildisziplinen kurz zu definieren. Und wie bei Definitionen üblich, sind diese diskussionswürdig.

Auf der vierten Tafel wird deutlich, daß auch in sprachwissenschaftlicher Literatur Prinzipien der Bildlichkeit gepflegt werden. Das geht von ikonischen Darstellung wie im Fall der Sprachtypologie, wo in eine Landkarte Südamerikas die entsprechenden Sprachgruppen eingetragen sind, über schematische Darstellungen wie im Fall syntaktischer Strukturbäume bis hin zu der (typo-)graphischen Anordnung von Ratschlägen zur Stilistik in Form einer Liste. Wie bedeutsam solche Formen von Bildlichkeit sind, wurde in der Ausstellung noch zusätzlich betont durch die Reproduktion zweier Schaubilder, die in Saussures Cours de linguistique générale abgedruckt sind, und die im Kontext der Vermittlung semiotischen bzw. kommunikationswissenschaftlichen Grundwissens heute noch Verbreitung finden. Der Vorteil solcher Schau-Bilder liegt auf der Hand: Wo im Text lange Erklärungen nötig sind, die in wissenschaftlichen Texten zudem von Fachtermini durchsetzt sind, ermöglicht eine bildliche Darstellung (ob mit oder ohne begleitender Lektüre, mag fürs erste dahingestellt bleiben) die Erfassung eines Sachverhalts auf einen Blick. Zumindest können die Bilder Saussures diesen Vorteil für sich beanspruchen.

Die unterste Tafel reproduziert jeweils eine Doppelseite aus Büchern der Fachliteratur. Nicht nur wird hier erneut deutlich, wie immer wieder mit grafischen Anordnungen gearbeitet wird, um die Informationsvermittlung zu optimieren. Es wird auch wiederholt vor Augen geführt, daß die Wissenschaft ein mehrsprachiges Unterfangen ist, das ganz wesentlich auch auf Übersetzungsleistungen basiert. Sei es, daß ein Leser ein fremdsprachiges Buch übersetzend liest, sei es, daß er auf die Übersetzung eines anderen zurückgreifen kann. Auch der Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft kann nichts anderes sein als eine Übersetzungsleistung. Vor allem aber zeigt sich, wie stark bildliche Strukturen und Konzepte sowie ganz allgemein ästhetische Vorstellungen die Begriffs- und Gedankenwelten der Wissenschaft prägen. Die Begegnung mit der Kunst hilft der Wissenschaft, dies besser zu verstehen.

Dirk Naguschewski