Jan Svenungsson

Selection of articles and letters to the editor, published in local newspapers during and before the ”Skulptur Biennale Münsterland", October 1999 – April 2000.


anon. ”Was soll denn der Quatsch? Oder: Dass kann ich doch auch!”,
in: Wir in Lengerich, 10.1.2001


Seit Sonntag kann man sie nun bewundern die 28 Entwürfe zum ”kulturellen Top-Ereignis im Münsterland", wie Emsdettens Bürgermeister Georg Moenikes es in seiner Ansprache in der Galerie Münsterland am Sonntag ausdrückte.

Ein kulturelles Top-Ereignis ist das allemal, was sich da im Juni diesen Jahres in den Städten Emsdetten, Greven, Hörstel, Ibbenbüren, Lenggerich, Rheine, Steinfurt und Tecklenburg als ”Kunst im öffentlichen Raum” präsentieren wird.

Die ”Skulptur Biennale Münsterland" steht im Kontext zu den 1977, 1987 und 1997 in der Stadt Münster durchgeführten ”Skulptur-Projekten“ (die ja mitunter auch heftig umstritten waren) und füllt alternativ die Dakade zwischen der letzten und nächstmöglichen Skulpturenausstellung im Jahre 2007.

Die Skulpturen Biennale ist ein auf sechs Jahre angelegtes Projekt, das jeweils im Zweijahresrhythmus verwirklicht wird: 1999 präsentierte es sich im Kreis Coesfeld, 2001 im Kreis Steinfurt, 2003 im Kreis Warendorf, 2005 im Kreis Borken. Das Gesamtprojekt ist auf eine gemeinsame und dauerhafte Ausstellung hin konzipiert.

21 Künstler aus zwölf Ländern entwarfen insgesamt 28 Projekte, die im Modell, auf Fotos und textlich beschrieben seit Sonntag in der Galerie Münsterland zu bewundern sind: ”Wir sind schändlich über-gangen worden“, war denn auch gleich der erste Kritikpunkt, vorgebracht von einem ”eingeborenen“ Künstler, Franz Hellwig. Das aber bedingt allein schon das Konzept der Biennale - nämlich Künstlern, die nicht aus unserer Region stammen, einen Blick auf die Münsterländische (Kultur-) Landschaft zu gestatten.

Jede Menge Diskussionsstoff gab die Ausstellung am Sonntag unter den Besuchern - sind doch die letztendlich ausgewählten Entwürfe in der Galerie Münsterland nicht ausdrücklich gekennzeichnet.

Wenn sich aber erst herumgesprochen hatte, welche Entwürfe nun tatsächlich in der münsterländischen Landschaft platziert werden, gab es am Sonntag mitunter heftige Diskussionen und Kritik:

Teilweise gar nicht gefallen mochte dem Publikum ein Entwurf, der in Hembergen in und an der Ems installiert werden soll: Ein Fußballfeld - je mit einem Tor auf einer Flussseite - liegt praktisch in der Ems und an ihren Ufern, die Mittellinie befindet sich in der Flussmitte. ”Ist das Kunst?“, fragt sich da besonders der Betrachter, dem der klassische Kunstbegriff noch am Herzen liegt und der ”Kunst“ von ”Können“ hergeleitet wissen will.

”Das kann ja jeder Platzwart besser“, war denn dann auch ein böser Kommentar. ”So ein Quatsch", bemerkte ein anderer Betrachter vor dem Entwurf zum ”Sechsten Schornstein“ - der Schwede Jan Svenungsson will einen an sich funktionslosen Schornstein in die münsterländische Landschaft setzen - unter anderem als Hommage an die surrealen Landschaften De Chiricos. Aber ebenso großes Lob wie Widerspruch ernteten die 28 verschiedenen Entwürfe - und so kann man jetzt schon eines sagen: Dies ist einmal eine Ausstellung, die schon im Vorfeld für heftigen Diskussionsstoff und für eine intensive Auseinandersetzung mit der Kunst sorgt - was immer man persönlich auch unter Kunst verstehen mag. ”In der Intensität des Gefühlslebens entsteht Erkenntnis“, formulierte es denn auch der Kurator der Biennale, Christoph Tannert und Landrat Thomas Kubendorff fragte: ”Kann es Ziel sein, Kunst zu schaffen, die von jedem akzeptiert wird?“

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anon. ”Kunst, Kiepenkerl und Pumpernickel - Podiumsdiskussion zur Skulpturen-Biennale: Bolzplatz-Projekt wird zum Wackelkandidaten.” in: Westfälische Nachrichten Tecklenburg, 6.2.2001


Wer glaubt, bei der Skulpturen-Biennale stehe schon längst fest, wo welche künstlerischen Arbeiten in den beteiligen Kommunen im Kreis zu stehen kommen, der wurde jetzt in der ”Galerie Münsterland“ in Emsdetten eines Besseren belehrt. Mitten drin im Diskussionsprozess befindet man sich, bei dem es bisweilen hoch hergeht und sich immer mehr herauskristallisiert, dass für einige Arbeiten das ”Risiko des Scheiterns“, von dem Kurator Achim Konneke sprach, kein leeres Wort ist. Zum heißesten Wackelkandidaten scheint das virtuelle Fußballfeld in Hembergen zu werden. ”Tauschen“ sei aber nicht möglich, hatte die Kulturmanagerin des Kreises, Eleonore Worm, gesagt.

Womöglich ist die regionale Nähe Hembergens zum Ort der Podiumsdiskussion in der Galerie Münsterland der Grund dafür, dass sich gerade an dieser Arbeit einmal mehr die Diskussionen entzündeten. Ebenfalls noch heiß diskutiert werden Sabine Hornigs ”Emsakropolis”, das Schornsteinprojekt von Jan Svenungsson sowie das ”Versunkene Dorf“, wenn es denn im Steinfurter Bagno aufgestellt wird. Gegen Inges Idee ”Der Bolzplatz“ zogen die Naturschützer und Landwirte Hand in Hand zu Felde. Naturschützer verwiesen auf die besondere Ästhetik der Emsauen, mit der man jetzt umgehe, als wären sie wertlos.

Von einer Landfrau wurde angesichts der aktuellen existenziellen Probleme der Landwirtschaft beklagt, dass bei der Biennale Geld herausgeworfen werde für ”eine Arroganz, die zum Himmel schreit“. Ein Einwand, den Kreisdirektor Dr. Wolfgang Ballke sowie auch der stellvertretende Landrat Hubert Scharf bei allem Verständnis für die Situation der Landwirtschaft nicht gelten ließen. Scharf wies sogar daraufhin, dass der Anteil des Kreises für die Biennale noch nicht einmal ein Drittel der Finanzmittel betrage, die der Kreis allein für die Gewässerunterhaltung den Landwirten gewähre.

Aber immerhin deutete mit Werner Friedrich erstmals ein Kuratoriumsmitglied an, das der Bolzplatz in Hembergen möglicherweise nicht zum Zuge komme, wenn der Widerstand zu groß sein werde.

Aber das ist ja gerade das Spannende an so einem Projekt wie der Skulpturen-Biennale: Der Diskussionsprozess im Vorfeld der eigentlichen Ausstellung, die im Sommer beginnen soll und nicht einfach ”von oben“ verordnet wird.

Moderne Kunst findet Beachtung, bietet Ansatzpunkte zur Auseinandersetzung und erregt Widerspruch. Die Skulpturen-Biennale wird zum Impuls, sich mit moderner Kunst auseinanderzusetzen. Zugleich regt sie zur Diskussion an, was denn die regionale Identität der Münsterländer ausmacht. Erschöpft sie sich in Kiepenkerl und Pumpernickel, denen sich ohnehin niemand entziehen kann, wie Kurator Christoph Tannert anmerkte ”wer ein lebensfroher und sinnlicher Mensch ist?“

Oder welche Rolle spielt ein Landschaftsraum, der einerseits landwirtschaftlich intensiv genutzt wird, zugleich aber auch die Sehnsucht der Menschen befriedigt, ab einem romantischen oder idyllischen Fleckchen Erde zu leben.

In erster Linie sind es ja die Menschen in der Region, für die Kunstwerke aufgestellt werden. Und nicht die Kunsttouristen aus Hamburg oder Berlin, wie Achim Könneke aus Hamburg pointiert anmerkte. Um die Kunst dauerhaft zu sichern und intakt zu halten, regte Dr. Barbara Engelbach an, Patenschaften zu übernehmen. Sie wird wissen, wovon sie spricht: schließlich war sie Kuratorin der Biennale im Kreis Coesfeld im Jahre 1999.

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Schwäke, Heinrich. ”Seit jeher drüber streiten.” in: Münstersche Zeitung, 16.2.2001 (reader’s letter)

Seit jeher und zu allen Zeiten tat der Mensch darüber streiten
je nach Standpunkt oder Gunst über die Frage: Was ist Kunst?
Bringt ein verbog’ner Eisenhaufen
Kunstfreund A entsetzt zum Laufen, sagt Kunstfreund B gar hoch entzückt:
Ein Meisterwerk ist da geglückt!
Oder ein abstraktes Bild macht Betrachter eins ganz wild, während der zweite freudig strahlt:
Ein Werk von Meisterhand gemalt!
Kunstrasen quer durch einen Fluss
hält die Mehrheit nur für Stuss und sie hält für Kunst mitnichten, am Wald den Schornstein zu errichten.
Was lernen wir daraus fürs Leben?
Geschmäcker sind verschieden eben.
Der liebt die Tochter — jener die Mutter, so ist‘s, ich find das ganz in Butter.

Heinrich S. Schwäke

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anon. ”Der Mühlenbach fließt mitten durch” in: Emsdettener Tagesblatt, 10.5.2001

Ein Schwede, der als einziger Mann auf der Welt noch Schornsteine bauen kann und dieses auch noch unmittelbar vor einem Kiefernwäldchen tut. Eine Künstlergruppe, die auf der Bundesgartenschau in Potsdam mit einem Basketballfeld vertreten ist und nun einen mindest ebenso paradoxen Fußballplatz in Emsdetten bauen will — für die Skulptur-Biennale im Kreises Steinfurt hat die konkrete Arbeit begonnen. Am ”Bolz-platz“ der Künstlergruppe ”Inges Idee“ wurde gestern exakt ausgemessen, wie der grüne Rollrasen für die Kleinspielfläche auf zwei Ackern des Landwirtes Jöki Feldmann ausgelegt werden muss. Und dabei ganz bewusst in der Mitte vom Mühlenbach durchtrennt wird.

Das Spielfeld soll nicht nur schön anzuschauen sein, meint Künstler Thomas Schmidt, ”es darf darauf gespielt werden.“ Ähnlich wie der merkwürdige Basketballplatz auf der Bundesgartenschau bespielbar ist — wenn sich die Spieler nicht an dem unebenen Spielfeld stören, da es in Potsdam die Höhen und Tiefen eines ehemaligen Militärgeländes aufnimmt und sich wie ein nasses Spielfeld auf das Gelände legt. In Emsdetten ist mit derlei Unebenheiten nicht zu rechnen: Bauer Feldmann war so freundlich, den Acker ganz eben herzurichten, als wollte er hier einsäen. Was er allerdings nicht tun wird. Rundherum entsteht eine fette Wiese, auf der allenfalls Pferde weiden werden.

Unweit von Hembergen, wenn man über die Emsbrücke den Pentruper Mersch entlang fährt, stößt man unweigerlich auf ein großes Gerüst, das derzeit noch einen Schornstein umzäunt, der einmal auf stattliche 15 Meter anwachsen soll. Völlig funktionslos wird er vor dem Kiefernwäldchen stehen. Ohne Fabrik und Mine. Oder doch? Wer weiß schon, ob in dem Wäldchen nicht doch etwas produziert wird?

Immerhin ist es der sechste Schornstein, den Jan Svenungsson weltweit unbeirrt errichtet. Ob in Schweden oder dem Expogelände in Südkorea, der Schwede zieht seine Obzession durch und behauptet von sich, er sei der letzte, der weltweit noch Schornsteine baut: ”Bald gibt es nur noch meine.“

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Meyer, Eduard. ”Oma Biennale.” in Ibbenbürener Volkszeitung, 28.6.2001 (reader’s letter)

”Die Berichterstattung zur Skulptur-Biennale regt an. So machte ich mich mit unserem siebenjährigen Enkel Lukas auf den Weg zum ”Mühlenbachbolzplatz” in Emsdetten. Unterwegs wies er darauf hin, dass er ein Lied von einer bescheuerten Oma kenne, und schon begann er lauthals vier Strophen zu singen: ”Unsere Oma fährt im Hühnerstall Motorrad... unsere Oma hat ne Brille mit Gardine... unsere Oma hat nen Pisspott mit Beleuchtung... unsere Oma hat nen Bandwurm, der gibt Pfötchen’.

Im Nachsatz heißt es: ”Unsere Oma ist ne ganz moderne Frau.” War das ein Spaß. Ich erinnere mich an die eigene Kindheit, und wir machten uns daran, weitere Strophen zu erfinden. Das war gar nicht so einfach für den Meinen Mann, nach der ”Lampe mit Verdunklung” wollte ihm nichts mehr einfallen. Doch der pfiffige Opa hatte den Zeitungsbericht über die Biennale gelesen und konnte sich somit weitere Strophen locker aus dem Ärmel schütten: ”Unsere Oma baut ’nen Bolzplatz quer durchs Wasser... unsere Oma baut ’nen Schornstein ins Gelände... unsere Oma hat ’ne Brücke mit Markisen... unsere Oma taucht ihr Häuschen unter Wasser. Unsere Oma ist ’ne ganz moderne Frau.“

Wir sangen mit Begeisterung, doch weiter kamen wir nicht, denn schon standen wir vor Omas Bolzplatz. Ungläubig starrte mich Lukas an. Dann, die Fragen: ”Gibt‘s die Oma wirklich? Auch ihre Brücke mit Markisen, den Schornstein im Gelände und das Häuschen unter Wasser?”

”Natürlich, ich werde dir alles zeigen.” ”Weißt Du, wie die Oma heißt?” ”Die heißt. Biennale.” ”Hat. die soviel Geld?” ”Nee, nichts hat die.” ”Und wer bezahlt das alles?” ”Wir alle beteiligen uns mit unseren Steuergeldern daran.” ”Dann seit ihr ja genau sobe-scheuert wie die Oma.” ”Nun, das nennt man Kunst. Alles klar?” ”Ich weiß nicht. Dann zeigt diese Kunst also, dass die Menschen so viel Blödsinn machen.” ”Das kann man so sagen.”

”Und die Oma Biennale, hat die tatsächlich auch die Brille mit Gardine und den Pisspott mit Beleuchtung?” ”Noch nicht, aber, wie ich Oma Biennale kenne, kann das bald soweit sein.” ”Nur den Bandwurm‘ der Pfötchen gibt, den kriegt die nie.” ”Langsam, langsam, mit Hilfe der Gentechnik kriegt die Oma den auch.” ”Genial. Dann war der Liedermacher von einer Oma, die im Hühnerstall Motorrad fährt, doch eigentlich auch ein großer Künstler, zeigt er doch damit auf, wie bescheuert wir sind.” ”So ist es. Er war seiner Zeit weit voraus und hat leider nie erfahren, welch große Kunst ihm damit gelungen ist.“‘

Eduard Meyer

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Clasen, Michael. ”Kunst ist, wenn Fische durchs Fußballfeld schwimmen.” in: Neue Osnabrücker Zeitung, 30.6.2001


Forellen schwimmen in einem Bach, der mitten durch ein Fußballfeld fließt. Enten stolzieren über die Dächer einer versunkenen Stadt, und Hase und Reh sagen sich an einem 15 Meter hohen Fabrikschornstein gute Nacht, der funktionslos zwischen Wald und Getreidefeld steht. Was absurd klingt, sind Exponate der Skulptur Biennale Münsterland im Kreis Steinfurt, die an diesem Sonntag eröffnet wird. Ein Projekt in freier Natur voller Ironie und Provokation, das einhält, was moderne Kunst verspricht: erregte Gemüter.

Es hagelte schon Kritik, lange bevor die zwölf Installationen internationaler Künstler in Lengerich, Emsdetten, Greven, Tecklenburg, Höstel, Steinfurt, Ibbenbüren und Rheine in Bau waren. Naturschützer beklagen den Eingriff in die Kulturlandschaft. Künstler aus dem Kreisgebiet sind erbost da sie sich übergangen fühlen. Und viele Bürger in den Gemeinden und Städten runzeln die Stirn angesichts von 1,4 Millionen DM Steuergeldern; die die Biennale insgesamt kostet.

Zudem musste sich Kurator Christoph Tannerauf unzähligen Diskussionsveranstaltungen von aufgebrachten Zuhörern die Frage gefallen lassen, was denn der ”Quatsch“ eigentlich soll. Ähnlich lautete der Tenor in vielen Leserbriefen. Heinrich Schwäke aus Recke hat die, Stimmung in Versform beschrieben: ”Kunstrasen quer durch einen Fluss, hält die Mehrheit nur für Stuss, und sie hält für Kunst mitnichten, am Wald einen Schornstein zu errichten.“

Während Landrat Thomas Kubendorff die Debatte über den Sinn von Kunst, mit einem großen Vergnügen” verfolgt, wie er sagt, spricht Kurator Tanner von einem erwünschten Effekt. Denn im Unterschied zu Kunstausstellungen im städtischen Raum oder in Galerien und Museen handele es sich bei der Biennale um ein Projekt in einem Landschaftsraum, bei dem das Recht des Künstlers nicht über das Recht der Allgemeinheit gesetzt werden dürfe. Zudem zielten die meisten Installationen bewusst auf Provokation, verteidigt der Leiter des Berliner Kunsthauses Bethanien die Werke. ”Die Biennale soll Feuer entfachen.“

Wie dem auch sei. Spektakulär und zum Teil nicht ohne Witz sind die Installationen allemal. Die England lebende 36 jährige Mariele Neudecker versenkte im Tiggelsee in Steinfurt eine Kirche und zwei Häuser, die nun dem kleinen See romantisch verspielt aus dem Wasser ragen, als habe sich die Natur mit einer Flutkatastrophe zurückgeholt, was ihr gehört. Die Enten stört es jedenfalls nicht. Jan Svenungsson aus Schweden hat eine Vorliebe für Fabrikschornsteine. Fünf hat der Künstler bereits gebaut, unter anderem in Stockholm und in Tokio. Sein sechster und bislang größ-ter taucht nun in der Umgebung von Greven zwischen eineim Getreidefeld und einem Waldstück auf. Weit und breit ist kein Haus geschweige denn eine Fabrik zu sehen. Nur versteht sein Werk als ein ”offenes Interpretationsfeld“ — vom Phallussymbol bis hin zu einer Hommage an die Industriekultur darf an alles gedacht werden. Als Svenungsson einen Schornstein in einem kleinen Dorf in Brandenburg errichtete, klagte Monate später der Landesrechnungshof die Gemeinde wegen Verschwendung von Fördergeldem an: Die zum Schornstein dazugehörige Fabrik fehle doch...

Verwunde-rung löst auch die Installation ”The Lengerich Garden Project aus. Auf einer Anhöhe neben der Westfalischen Klinik hat der Amerikaner Ronald Jones gemeinsam mit psychisch Kranken auf einigen Quadratmetern ihre Vorstellungen von einem Paradies verwirklicht.

Komisch nur, dass der Garten vielen Gärten in Einfamilienhaussiedlungen ähnelt.

Nur eine Aussichtsplattform aus kaltem Stahl stöhr die Idylle.

Eine absurde Symbiose von Kunst, Landschaft und Sport hat die europäische Künstlergruppe ”inges idee“ auf den beiden Äckern von Bauer Feldmann in Emsdetten gebaut. Links ein Tor, rechts ein Tor. Statt einer Mittellinie aus Kreide trennt der Mühlenbach die beiden Spielhälften unüberwindbar für die besten Stürmer der Welt.

Der Koreaner Won Ju Lim verbarrikadiert derzeit die Fenster im Bismarckturm in Tecklenburg. Anstelle des vertrauten Blicks auf die bewaldeten Hügel des Tecklenburger Lands will Won Ju Lim mit einer Videoinstallation den Grand Canyon, das Eismeer oder Wolkenformationen ”Wirklichkeit“ werden lassen. Der Italiener Vittorio Messina stellt in Rheine-Bentlage auf einer Wiese zwei Fenster aus Beton auf. Ottmar Sattel aus Berlin montiert an eine Ems-brücke in Emsdetten-Isendorf bewegliche Stoffdächer in bunten Farben, und Robert Scheibner hat ans Ufer der Ems bei Hembergen drei ”Pollo-Plastiken“ platziert. Wenn das Ufer überschwemmt wird, sollen sich die Pollen der Plastik lösen und die Ems hinabtreiben. Wer eine Polle findet, kann sie aufschrauben und wie bei einer Flaschenpost eine Botschaft vom Künstler entdecken.

Im Kloster Gravenhorst hat Dagmar Demming die ”Zone“ installiert. Wünsche und Träume von Menschen aus dem Kreis, hat die in Norwegen lebende Künstlerin aufgenommen, die nun grenzscharf auf die abgesteckten Wiesenfläche durch einen Sound-Beamer projiziert werden. Erst im August wird hingegen Kendell Geers Werk ”Waiting For The Barbarians“ begehbar sein. Der Südafrikaner, der während der Apartheid im Gefängnis saß, will neben dem ehemaligen Kloster aus Natodraht ein riesiges Labyrinth bauen, das nach und nach von Efeu überwuchert wird. Seine Form der Kritik an Krieg und Gewalt. Zu der Bauverzögerung kam es, da sich die Bundeswehr wei-gerte, den Stacheldraht zu verlegen. ”Die haben gemerkt, dass sie vorgeführt werden sollten“, sagt Kurator Christoph Tannert mit einem Schmunzeln auf den Lippen.

Michael Clasen

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Jennen, Manuel. ”Atlantis taucht in Steinfurt auf.” in: Münstersche Zeitung, 2.7.2001


Im Pentruper Mersch bei Greven, einem lieblichen Landstrich mit Kiefern und Getreidefeldern, geht etwas Unheimliches vor. Am Waldrand scheint sich eine kolossale Mohrrübe aus dem Boden zu bohren. Ihre leuchtend rote Spitze erreicht die Baumkronen. Verdutzt hält der Fahrradfahrer an, um das 15 Meter hohe Gen-Gemüse aus der Nähe zu betrachten. Die Lösung des Rätsels bringt ein neues Rätsel, entpuppt sich die Ziegel-Säule doch als Fabrikschornstein. Allerdings fehlt die Fabrik.

Es ist der sechste Schornstein, den der schwedische Künstler Jan Svenungsson weltweit in die Landschaft gesetzt hat. Die Irritation über diese Art von Kunst habe im brandenburgischen Drewen bereits zum handfesten Skandal geführt, als ahnungslose staatliche Stellen die Verschwendung von Steuergeldem für unsinnige Industriebauten witterten, erzählt Kurator Christoph Tannert. Der Berliner organisiert die zweite Skulptur-Biennale Münsterland. Sie findet im Kreis Steinfurt statt und wird am 1. Juli eröffnet. Neun der zwölf Skulpturen im öffentlichen Raum sind bereits fertig, bei den drei übrigen dauert es noch ein paar Wochen. Eine komplette Rundfahrt würde nach Angaben der Veranstalter rund acht Stunden beanspruchen.

Mit Ignoranz hatte Tannert nicht zu kämpfen, er lobt stattdessen die große Anteilnahme der Bürger — wenngleich einige Projekte in den Gemeinden begehrter waren als andere. Der Schornstein repräsentiert recht gut das Konzept der Schau: Der Kunst-Anspruch der Werke zeigt sich in ausgeklügelten architektonischen und technischen Details sowie in einer überrumpelnden Ästhetik mit teils skurrilem Ünterhaltungswert. Weniger wichtig scheinen inhaltliche ”Programme“ oder politische Aspekte — da ist es schon viel, wenn Via Lewandowskys umgekippter Käfig mit Sportarena-Gummiboden in Rheine-Bentlage als ”Ruine der Freizeitgesellschaft“ gepriesen wird.

Ein besonders schönes Entertainment-Exemplar ist der ”Bolzplatz“ der rein männlichen Künstlergruppe ”Inges Idee“. Ein frisch eingesätes Fußballfeld schwingt sich elegant die Uferböschung des Emsdettener Mühlbaches hinab, verschwindet im Nass und taucht am anderen Ufer wieder auf. Das sieht gut aus und erhält dank Medienzar Leo Kirch sogar Brisanz, fällt das Bundesliga-Vorabendprogramm im unverschlüsselten Fernsehen doch genau so ins Wasser wie potenzielle Emsdettener Kunst-Kicker.

Noch feuchter artikuliert sich die in Bristol lebende Düsseldorferin Mariele Neudecker, die im Steinfurter Tiggelsee gleich ein Mini-Dorf mit Kirchturm und zwei Häusern versenkte. Der Anblick ist kurios: Die Mythen von Atlantis und Vineta verbinden sich mit romantischer Ruinenarchitektur, ökologischer Stausee-Problematik und moderner Katastrophenfilm-Kulisse (dramatisch ragt die Leiter eines geflohenen Flutopfers aus dem Wasser). Andererseits versprühen die propperen deutschen Dachpfannen wenig Glamour. Macht nichts, Steinfurt ist auf jeden Fall um eine große Attraktion reicher.

So gar nicht in diese hip gestylte Reihe passt der ”Lustgarten“, den US-Künstler Ronald Jones mit Psychiatrie-Patienten der Westfälischen Klinik in Lengerich entwickelte. In den schnörkeligen Wegen samt Aussichtsplattform erfüllt die Kunst handfeste Zwecke: als fabelhaft Beschäftigungstherapie und Ruhepunkt am Ende einer langen Skulpturen-Reise.

Manuel Jennen

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Hagel, Michael. ”Fremdkörper am Acker - Die Skulptur-Biennale 2001 im Spiegel des überregionalen Feuilletons.” in: Münstersche Zeitung, 1.8.2001


Seit einigen Wochen bereits läuft die Skulptur-Biennale 2001 im Kreis Steinfurt. Da lohnt es sich schon mal nachzuschlagen, was die überregionale Presse zu der ungewöhnlichen Schau schreibt.

Aus vier mach zwei: Leider, leider haben die ”Süddeutsche Zeitung” sowie die ”Frankfurter Rundschau“ die Biennale zur Gänze ignoriert, dafür haben die ”Frankfurter Allgemeine" und ”Die Welt” ihr jeweils längere Artikel gewidmet. Und die sind in ihrer Grundtendenz positiv.

Zwar können sich die Feuilleton-Schreiber aus den Großstädten Berlin (”Die Welt”) und Frankfurt (”FAZ”) einige Sottisen auf den ländlichen Charakter des Kreises Steinfurt nicht verkneifen (”Zwischen Getreidefeldern, grün gesäumten Kleinstädten und ländlichen Wanderwegen gedeiht kein monumentales Konzept Christoscher Ausmaße”, meint ”Die Welt”), aber die Grundidee der Skulptur-Schau scheint ihnen zu gefallen.

So schreibt ”Die Welt“ von einem ”klug konzeptionierten Regionalkonzept” das überregional Schule machen könnte.Die ”FAZ” schätzt an der Biennale ”den vitalen Ehrgeiz, ästhetische Irritationen in homöopathischen Dosen in der Region zu platzieren”. Zwar dürfe niemand im Kreis Steinfurt ”die ’große Kunst’ (”Die Welt”) erwarten, aber wohlplatzierte Landmarken würden ”die Augen unvoreingenommener Spaziergänger auf das lenken, was sonst aus reiner Gewohnheit dem schweifenden Blick entgeht: die Eigenschaften des eigenen Lebensraums”.

Eine geführte Bustour zu den Kunstwerken — da gehen dem ”Welt”-Autor ein wenig die sprachlichen Gäule durch — empfand er als ”Kaffeefahrt in die Gefilde des heimatlichen Kolorits“. Wobei offen bleibt, ob der Schreiber wohlmöglich selbst vom Lande kommt; bei solchen Assoziationen...

Der Artikel endet mit der wohl spannendsten Frage, die diese Biennale aufwirft: ob aus den Landmarken (gemeint sind die Kunstwerke) eines Tages Wahrzeichen werden. Das, so schlussfolgert das Springer-Blatt, würden zuletzt die Bürger des Kreises Steinfurt selbst entscheiden.

Die ”FAZ“ stört sich — zumindest vordergründig — an den enormen Distanzen die zwischen den einzelnen Skulpturen zurückgelegt werden müssen. ”Komplett rund 80 Kilometer“, wird Kurator Christoph Tannen zitiert. Das sei durchaus strapaziös und nicht anders zu lösen gewesen, weil ”viele der versprengten Gemeinden an der Intervention der Künstler teilhaben“ wollten.

Dem ”FAZ“-Autor gefallen einige Werke besonders gut: Mariele Neudeckers ”Versunkenes Dorf” im Steinfurts Tiggelsee sei positiv irritierend und ein ”Ausruf einer versunken-heilen Welt voller idyllischer Poesie, gleich einem Kapitel aus dem Märchenbuch, das in die Wirklichkeit getreten ist". So betrachtet...

Oder Jan Svenungssons ”Sechster Schornstein“ in Greven-Pentrup: Der ”Fremdkörper am Acker“ diene dem Andenken der historischen Industriearchitektur ebenso wie dem ”zwecklosen Wohlgefallen“. Oder noch lyrischer: der ”Wirkmacht purer Schönheit“.

Gefallen hat den Feuilletonisten auch der ”Bolzplatz“ von ”inges idee” an Emsdettens Mühlenbach. Als ”reine Augenweide” wird er in der ”FAZ” gepriesen, als geglückte verbindung von König Fußball und dem Biennale-Ziel der unerwarteten Perspektive. Da verschmerzt das Frankfurter Blatt sogar den zweifellos größten Nachteil des ”Bolzplatzes“: dass das Spiel auf hin ewig torlos bleiben wird.

PS: ”Der Spiegel“ und der ”Focus“ haben zumindest kurz auf die Skulptur-Biennale hingewiesen.- mit bunten Bildchen.

Michael Hagel